Das hier ist die Auslegung einiger Szenen aus „Matrix Reloaded“; eine mythologischen Interpretation auf dem Fundament der Sagen und Religionen verschiedenster ethnischer Gruppen. Meine grundlegende These ist, dass Matrix Reloaded eine Geschichte über Genesis ist. Nicht die Schöpfungsgeschichte. Ich meine die Erzählung über die Trennung von Himmel und Erde, die direkt nach der Schöpfungsgeschichte kommt. In welcher die Schlange (= Loki, die Erfindergottheit = Neo) – die Menschheit aus dem Paradies nach Mittelerde führt. (Ich habe den leisen Verdacht, dass die Trilogie der Filme außerdem über eine Maschinen-Evolution sein wird).
Es fängt mit Ungehorsam an
“Ich bin keine Nummer! Ich bin ein freier Mann!” — Nummer 6, (The Prisoner)
“Danach – ich kannte die Vorschriften, ich wusste, was ich zu tun hatte – aber ich tat es nicht. Ich konnte es nicht, ich fühlte mich gezwungen, zu bleiben, den Befehl zu verweigern.” — Agent Smith, The Matrix: Reloaded
Thomas Anderson war ein ungehorsamer Typ. Er kam regelmäßig zu spät zur Arbeit. Er tat nicht, was man ihm sagte. Er hatte ein Problem mit Autorität. Fans des ersten Matrix-Films identifizierten sich aufgrund dieses rebellischen Verhaltens mit Thomas Anderson. Wir alle grinsten, als er Agent Smith im Verhörzimmer anbot “wie wäre es, wenn Sie sich den hier sonst wohin stecken” und ihm den Stinkefinger zeigte?
Nun stellen wir uns einmal für einen Moment vor, dass Thomas Anderson getan hätte, was man von ihm erwartete. Stellen wir uns vor, dass er nach der Rüge seines Chefs seine Lektion gelernt hätte, zurück zu seiner Bürozelle gegangen wäre und sich angepasst hätte. Wohl kaum eine interessante Geschichte. Hier sehen wir Thomas wie er in seiner Zelle arbeitet, so wie er sollte. Ende. Er würde einfach Teil der Maschinerie werden.
Doch wie der Zufall es will, fühlt Mr. Anderson sich gezwungen, ungehorsam zu sein und wir haben doch noch eine Geschichte. Aber es geht hier nicht nur darum, eine spannende Geschichte zu haben. Kaum. Es geht tatsächlich um Entscheidungen, wie Neo während seiner Unterhaltung mit dem Architekten feststellt. Wenn man es stark reduziert, hat man nur zwei fundamentale Entscheidungen zu treffen: Man kann wählen eine unselbstständige Maschine oder ein Mensch zu sein, schlafend oder wach, tot oder lebendig. Irgendjemanden gibt es immer, der dir sagt, was du zu tun hast. Der Unselbstständige, Blechbeschützte und Leblose tut, was ihm befohlen wird. Die Maschine gehorcht. Das menschliche Wesen gehorcht nicht. Das menschliche Wesen zeigt Agent Smith den Stinkefinger. Das menschliche Wesen isst den Apfel.
Der Architekt ließ Neo über dieselben beiden Möglichkeiten entscheiden. Neo entschloss sich, nicht länger Teil der Maschinerie der Matrix zu sein. Danach war er frei.
Insgeheim glaube ich, dass Sekunden nachdem Neo den Raum des Architekten verlassen hatte, jener einen Freudentanz aufführte.
Die Grundsätze dieser Betrachtung
Ich ärgere mich wirklich über all diese „Lügnerei“ – Auslegungen, die über diesen Film entstanden sind. Aus irgendeinem Grund finden es die Leute einfacher, nur zu sagen, dass sich die Figuren in diesem Film alle gegenseitig betrügen und dass die Filmemacher versuchen, das Publikum zu betrügen – anstatt eine zusammenhängende Analyse des Films zu liefern. Insbesondere missfällt mir die Behauptung, dass das Publikum betrogen wird. Dies ist eine ziemlich schwache Theorie, die als nicht als Beurteilungsgrundlage der Zusammenhänge dienen kann, die in der Erzählung aufgezeigt werden. Es ist so: wenn wir hereingelegt werden sollten, dann können wir zu jeder beliebigen irrsinnigen Theorie übergehen und keiner kann dagegen argumentieren. Um diese irrsinnigen Theorien zu „belegen“ müssten wir einfach nur jeden einen Lügner nennen.
Deshalb sind dies die Grundsätze meiner Betrachtung:
- Niemand in diesem Film „lügt“. Wenn z.B. Agent Smith zu Neo sagt, dass zwischen ihnen eine Verbindung existiert, dann existiert diese tatsächlich.
- Die Filme selbst belügen nicht die Zuschauer. Das heißt, der erste Film war nicht eine einzige große Lüge. Auch die Flucht der wichtigen Charaktere aus der Matrix in die wirkliche Welt war keine Lüge. Die wirkliche Welt ist wirklich echt (die Matrix- in- der- Matrix- Theorie ist z.B. Quatsch)
- Ich bin sehr textorientiert und ich glaube, dass wir eine gute Analyse des Filmes nur aufgrund dessen aufbauen können, was in dem Film selbst belegt wird. So etwas wie „gefühlsmäßige“ Interpretationen bedeuten mir persönlich nicht sehr viel (ich glaube, dass gefühlsmäßige Annäherungsversuche nicht argumentierbar und daher indiskutabel sind)
- Abgesehen davon glaube ich, dass viele (gute) Autoren ihre Anspielungen und ihre Szenenbilder nicht zufällig, sondern aus gutem Grund auswählen. Szenen einer Erzählung haben ihre Gründe und sind nicht nur dafür da, die Zeit auszufüllen oder Busen zu zeigen. Das gilt auch für unsere Wachowski- Brüder. Wenn etwas in diesem Film ist, werde ich davon ausgehen, dass es dort sein soll und nicht grundlos auftaucht.
- Als Erweiterung zu Punkt #3 habe ich versucht, „Animatrix“ und „Enter the Matrix“ als Beweisgrundlage für jeden Teil dieses Essays zu ignorieren. Ich habe es allerdings nicht ganz geschafft. Das wär’s.
Der Architekt
Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde […] Es wurde Abend und wieder Morgen: der sechste Tag. –Genesis 1:27;31
Der Architekt ist Gott, so wie er in der Schöpfungsgeschichte Genesis dargestellt wird (es gibt zwei Schöpfungsgeschichten in der Bibel). Dieser Gott hat einige besondere Eigenschaften. Er schuf die Erde in sechs Tagen, dann ruhte er sich etwas aus und spazierte abends gemütlich durch den Garten Eden. Nun, mehr wäre über Gott nicht zu sagen. Außer einer Sache – er pflanzte ein Paar besonderer Bäume und sagte den Menschen, sie sollten nicht von den Früchten essen. Dies waren die verbotenen Früchte des Baumes der Erkenntnis und des Baumes des Lebens. Genauso unser Architekt. Er schuf die Matrix und sitzt nun in seinem gemütlichen Stuhl und sieht auf seinen Fernsehschirmen zu, wie sich alles entwickelt. Genau wie Gott traf der Architekt Vorbereitungen gegen zu viel Wissen. Beide Götter sagen “Hier habt ihr eine perfekte Welt, in der ihr leben könnt. Denkt nur nicht zuviel darüber nach, warum ihr hier seid, oder woher der Regen kommt oder überhaupt wie das alles hier funktioniert.”
Dies ist der Schöpfergott, der Gott-Vater. Brahma bietet hierzu eine gute Vergleichsmöglichkeit. Brahma schuf die Welt, doch beherrschte sie nicht. Brahma sitzt letztendlich nur auf seiner Lotusblüte. Er ist wie der kosmische „Uhrenmacher“ der Deisten, der die Uhr nur aufzieht und dann zusieht, wie die Dinge ablaufen. Doch zusätzlich zu dieser Brahma-ähnlichen Seite, haben der Gott der Genesis und der Architekt beide dieses Verbot gegen Wissen. Ebenfalls gleich ist die Sache mit der Schlange.
Im Garten Eden wird alles behütet. Es gibt kein Leid. Erinnern wir uns an Agent Smith aus dem ersten Film, der sagte „dass die erste Matrix als eine perfekte Welt geplant war, in der kein Mensch hätte leiden müssen? Ein rundum glückliches Leben!“ Der Architekt bestätigt das in „Reloaded“ (Es gibt allerdings keine eins-zu-eins Übereinstimmung zwischen der Matrix und dem Garten Eden – beide sind das Paradies aus verschiedenen Blickwinkeln.) Das Paradies ist zudem zeitlos, eine Eigenschaft, die von der Matrix geteilt wird. Dieser Punkt wurde sehr gut von anderen dargestellt, hierzu gibt es ein gutes Beispiel bei den Kommentaren. Wie lange ist es schon 1999 in dieser Version der Matrix? Nichts ändert sich je; es ist bereits perfekt, also kann es sich unmöglich ändern. Es ist allerdings auch nicht lebendig, da Veränderung notwendig für Wachstum und Leben ist. Auch einen Baum der Erkenntnis gibt es, der den Ausgang aus dem Paradies in das Feld der Zeit darstellt. In der Matrix existiert dieser Ausgang in Form einer roten Kapsel die geschluckt wird.
Auch die Schlange taucht auf. Es wird oft übersehen, dass die Schlange von Gott geschaffen und in den Garten Eden gesetzt war. Es ist ein Fehler, dies hier mit dem Hintergedanken zu lesen, die Schlange sei böse. Eine (meiner Meinung nach gute) Übersetzung der Eigenschaften der Schlange ist „crafty“ [„geschickt“, aber auch „verschlagen“, A.d.Ü.]. Wie in „he has knowledge of crafts“ (er weiß wie er seine Fähigkeiten einsetzen muss). Es ist in der Tat Loki, der ja ebenfalls gern als Täuscher oder Betrüger gebrandmarkt wird; und dies ist tatsächlich Teil seiner Natur, doch Loki bringt auch neues Wissen: er ist geschickt, er ist ein Erfinder und innovativer Geist. Er ist der Inbegriff des Hackers[1]. Zunächst habe ich immer Neo mit Loki identifiziert, doch im ersten Film ist es eher Morpheus, zumindest am Anfang (am Ende ist es 100%ig Neo und so wird es für den Rest der Trilogie bleiben. Dies passt ebenfalls gut ins Bild, denn Morpheus war der Mentor, der Guru, der Neo die Tür zur Erleuchtung gezeigt hat. Danach überflügelt Neo Morpheus). Wie dem auch sei, die Rolle bleibt dieselbe: Menschen mit der verbotenen Frucht – der roten Kapsel – zu „verführen“, so dass sie den Garten Eden verlassen können, hinein in die wirkliche Welt des Leidens und den Fluss der Zeit.
Als eine kleine Nebenbemerkung hierzu: Achtet darauf, wie kurz nachdem Neo dass erste Mal aus der Matrix erwacht, er zum ersten Mal mitbekommt, in welchem Jahr er tatsächlich lebt.
Der springende Punkt der roten Kapsel und des „Loki-Effektes“ ist folgender: Genau wie in der Genesis wurden beide Dinge vom Architekten in die Matrix eingebaut. Dies lässt die Verbindung zwischen dem Architekten und Neo in einem ganz anderen Licht erscheinen.
Es gibt einen krassen visuellen Kontrast zwischen Neo und dem Architekten. Bei ihrem Treffen in der Kammer des Architekten ist dieser komplett in Weiß gekleidet und Neo – nun – er sieht wie der Teufel persönlich aus, ganz in Schwarz. Dies ist eine ziemlich gute Interpretation. Die Göttlichkeit des Architekten wird gefestigt, da er die Welt geschaffen hat. Neo hat an dieser Stelle bereits die Rolle Lokis/der Schlange eingenommen. Wir sprechen hier nicht über Gut und Böse. Die Schlange im Garten Eden ist keine Macht des Bösen. Sie ist eine Macht der Veränderung. Die Schlange dient als Katalysator, sie lädt uns ein, rational über unsere Umwelt nachzudenken. Einerseits ist die Schlange verantwortlich für die Dinge, die zur Erfindung des Ackerbaus geführt haben und ist deshalb wie eine Erfindergottheit, z.B. Loki. Andererseits ist die bloße Idee einer Schlange das elementarste Symbol des Lebens (Leben gleich Veränderung). So verlassen wir, indem wir „der Schlange folgen“ das zeitlose Paradies und steigen hinab in die Gefilde der Zeit. Nur indem wir das Paradies verlassen, können wir eine echte Menschlichkeit entwickeln. Es ist offensichtlich, dass ein Leben in der Wirklichkeit einem Leben in der Matrix vorzuziehen ist. Es mag härter und rauer sein, aber zumindest ist man bei Bewusstsein.
Wir haben also Neo in der Position der Schlange, deren Handlungen die Schöpfung des Architekten untergraben. Demzufolge ist Neo der Teufel[2]. Worauf man bei einer Analyse des Architekten achten muss ist, dass dieser den Teufel geschaffen hat. Genauer ausgedrückt könnte man also sagen, dass Neo das teuflische Element personifiziert, das von dem Architekten in die Matrix eingebaut wurde. (der Neo-Teufel dürfte aber durchaus mehr von seiner Mutter als von seinem Vater haben). Mit anderen Worten: Gott setzt den Teufel in die Welt, um damit ein größeres Ziel zu erreichen.
Nun folgen einige Zitate aus dem Dialog mit dem Architekten; ich werde sie nutzen um herauszufinden, was wirklich mit Neo und dem Architekten passiert. Die Zitate stehen nicht in einer zeitlichen Reihenfolge; es sind auch nur ein paar, die ich hervorheben möchte.
ARCHITEKT: Du hast viele Fragen, und obwohl die Ereignisse dein Bewusstsein verändert haben, so bleibst du unwiderruflich menschlich.
Ich bleibe dabei, dass der Architekt in dieser Unterhaltung nicht lügt. Er erzählt uns ziemlich direkt, dass Neo ein menschliches Wesen ist. Dies sollte alle Theorien zum Schweigen bringen, die davon ausgehen, dass Neo ein Computerprogramm ist. Es ist ebenfalls sehr wichtig, dass wir Neo als menschliches Wesen verinnerlichen, da das Endresultat davon abhängt.
ARCHITEKT: Das [die Antwort] ging schneller als bei den anderen.
ARCHITEKT: Während die Anderen dies [Zuneigung] auf eine sehr diffuse Weise erlebten, ist deine Erfahrung diesbezüglich sehr viel präziser – in Anbetracht der Liebe.
Die Übersetzung hierzu ist recht einfach. Es gab früher „Andere“ – andere Neos – und dieser hier unterscheidet sich von ihnen. Dieser Unterschied wurde bereits in der Szene mit dem Merowinger angedeutet, doch hier wird sie bestätigt. Der Merowinger erwähnte, dass Neo anders als seine Vorgänger ist und der Merowinger zeigt sich sehr erstaunt über die übermenschlichen Fähigkeiten, über die Neo verfügt (er erwartet nicht, dass Neo den Kampf mit seinen Dienern gewinnt.) Die Tatsache, dass sich diese Inkarnation von den anderen unterscheidet, bedeutet auch, dass die vorigen fünf alle die Tür zu der Rechten des Architekten genommen haben)
ARCHITEKT: Ich bevorzuge es, vom einen Auftreten einer integralen Anomalie zum Auftauchen der Nächsten zu zählen, wobei dies hier dann die sechste Version ist.
Es gab also fünf frühere Inkarnationen Neos. Dies ähnelt der hinduistischen Gottheit Indra, die sich mit der Tatsache konfrontiert sieht, dass es bereits zahllose Indras gab. Es heißt: Du bist Teil von etwas Größerem als dir selbst. Es ist ebenfalls enorm bedeutsam, dass Neo die sechste Inkarnation ist.
ARCHITEKT: Sie [die Mutter] stieß zufällig auf eine Lösung, wobei 99% der Testobjekte das Programm akzeptierten, solange sie eine Entscheidungsmöglichkeit hatten.
NEO: Entscheidung. Das Problem ist die Entscheidung.
Wie oft kam in „Reloaded“ der Gedanke der Entscheidungsfreiheit und des freien Willens auf? Doch sehr oft. Es gipfelt in diesem Moment, als beide – der Architekt und Neo es klar feststellen. Es geht um Entscheidungen. Neos Entscheidung – zwischen der rechten und der linken Tür – ist eine vergrößerte, hochkonzentrierte Fassung der Entscheidung, vor die alle Menschen, die mit der Matrix verbunden sind, gestellt werden. Nimmst du die Welt, die dir geboten ist, an – oder folgst du der Schlange? Diese Entscheidung ist der Grund dafür, dass Neo und der Architekt als konkurrierende Gegner dargestellt werden – der Gott und der Teufel. Sie sind die Verkörperungen der beiden Entscheidungsmöglichkeiten.
Es ist sehr schwierig, festzustellen, welche Reaktion der Architekt von Neo erwartet. Der Großteil der Reloaded- Analysen widerspricht sich hier. Ich glaube, dass der Architekt hofft, dass Neo die Tür zu der Linken (zu Trinity) nimmt[3]. (Ja, das ist eine komplette Umkehr von meiner Position in den letzten Versionen dieses Essays.) Anders ausgedrückt, Ich sage, dass (1) der Architekt etwas hofft und (2) dass er hofft, das Neo sich für Trinity entscheidet. Es gibt einige Schlüsselhinweise für diese Vermutung. Ausschlaggebend ist hierbei für mich die “Abschiedsszene ” vom Architekten:
ARCHITEKT: Hoffnung. Sie ist die wesentlichste menschliche Illusion, die beides ist, sowohl Quelle unserer größten Stärken als auch unserer größten Schwächen.
Warum sagt der Architekt das? Warum erwähnt er das Wort “Hoffnung”? Warum sagt er nicht einfach “Bis dann, Idiot!?” Ich glaube es liegt daran, dass dies für den Architekten ein Moment der Erfüllung ist. Er weiß, dass seine Arbeit beendet ist, denn indem er die Tür zu seiner rechten nimmt, zerstört Neo die Matrix. Ich dachte zunächst, dass der Architekt durch das letzte Wort “Schwächen” Neos Entscheidung als eine Schlechte einstuft. Dem ist nicht so. Schwäche ist ein Zustand des Nicht-Vollkommenen. Menschliche Wesen werden durch ihre Unvollkommenheiten, durch ihre Schwächen definiert. Daher ist dies eine Erklärung der Befreiung vom Perfekten. Neo reißt sich los und wird frei. Er verlässt das Paradies.
Doch der Architekt sagt damit noch etwas viel tiefgreifenderes. Schaut euch den Satz genauer an. Der Architekt sagt, dass Neo im Wesentlichen menschlich ist. Neo ist in der Tat über seine Grenzen hinausgegangen, indem er sich für Trinity entschieden hat. Er hat wahrhaftig freien Willen gezeigt. Das führt zu dem unglaublichsten Teil der Beziehung zwischen dem Architekten und Neo.
Neo #6 ist die Schöpfung des Menschen am sechsten Tag. Eine Schöpfung des Schöpfers.
Es würde sich wohl ziemlich eindrucksvoll machen, wenn ich an dieser Stelle einfach aufhören würde, aber ich muss noch ein paar Gedanken zuende führen. Ich werde versuchen, einen weiteren Knaller zu bringen um es spannend zu machen. Wenn man den gesamten Dialog der Architektenszene zurückblickt, denkt man natürlich über die Bedeutung einer Menge Aussagen des Architekten nach, besonders da sie scheinbar meiner Schlussfolgerung widersprechen oder andernfalls Lügen sind. Mein Vorschlag hierzu ist, noch weiter zurückzugehen, zu dem Auftritt des Orakels im ersten Film. Sie erzählt Neo Dinge, die – wörtlich genommen – nicht wahr sind, doch trotzdem sind sie wahr, da sie Neo zu dem werden lassen, was er werden muss. Neo hätte nie sein Leben für Morpheus riskiert, wenn das Orakel ihm gesagt hätte, dass er der Auserwählte wäre. Genauso ist es beim Architekten – was er sagt, lässt Neo zu dem werden, was er werden muss. Es wäre für Neo nicht sehr bedeutend, sich für Trinity zu entscheiden, wenn er nicht glaubt, dass irgendetwas auf dem Spiel stünde. Es wäre kein Akt des freien Willens gewesen.
Wie interessant, dass das Orakel und der Architekt so ähnliche Mittel aus so ähnlichen Gründen benutzen.
Die Rave-Szene
Mit der „Rave Szene“ meine ich diejenige, die direkt nach Morpheus Ansprache an die Bewohner Zions kommt; die, in der jeder tanzt und Trinity und Neo etwas abseits abgehen (ahem). Diese Szene erhielt eine Menge schlechter Kritik. Es wurde gesagt, dass „diese Szene nervte“ oder dass sie „viel zu lang“ war oder sehr häufig, dass „sie absolut unnötig war“.
Das stimmt absolut nicht. Es mag zwar sein, dass die Hintergrundinformation dieser Szene hätte anders vermittelt werden können. Allerdings hat diese Version ihren Job ziemlich gut gemacht. (Fairerweise muss ich zugeben, dass ich viele Leute kenne, die diese Szene verstanden haben, sie aber dennoch nicht mögen. Wink mit dem Zaunpfahl: Das Leben ist schmutzig.)
Zuallererst wird gezeigt, dass sich diese Szene in einer Art Tempel abspielt. Keine brillanten Auslegungen nötig: Es handelt sich um ein spirituelles Ereignis. Dieser einführende Blick verweist darauf, dass alles was folgt, als Geschehen spiritueller Bedeutsamkeit interpretiert werden muss. Hier die Höhepunkte:
- Wiederholte Aufnahmen der Füße auf dem Boden
- Menschen, die auf eine orgiastisch- provozierende Art Tanzen.
- Fast jeder ist (zumindest teilweise) afrikanischer Herkunft
- Weitläufige Aufnahmen, die geschmolzene Lava in der Mitte der Kathedrale zeigen
- Neo und Trinity sind nackt und haben Sex.
Die Füße auf dem Boden bedeuten, dass Zion auf der Erde ist. Einfach und klar. Dies ist das Gegenstück zur Architektenszene und führt zu der Hauptthese. Wir wurden aus der „perfekten“ Welt des Himmels ausgeschlossen und leben in der wirklichen Welt. Symbolisch gesehen ist die Matrix der Himmel / das Paradies. Cypher stellt das im ersten Film fest. Die wirkliche Welt ist hart, schmutzig und ungemütlich. Die Matrix ist – nun, der Garten Eden. Das wird wiederum im ersten Film von Agent Smith festgestellt, der die Matrix die „perfekte Welt für Menschen“ [paraphrasiert] nannte. Erinnert euch an die Szene beim Architekten, die sich in einer komplett sauberen, komplett weißen, „perfekten“ Kammer abspielt[4].
Der Hinweis auf die Bibel ist klar zu erkennen. Neo, Trinity, Morpheus und der Rest Zions haben Gottes Garten Eden, in dem sie keine Sorgen haben müssen, abgelehnt und dafür eine harte, ums Überleben kämpfende Existenz vorgezogen, in der sie dafür einen freien Willen haben.
Eine kleine Fußnote: Deswegen sehen wir die Schlange im Paradies als Erfinder (oder Hacker, oder Entwickler) an. Die Schlange ist der Katalysator für Neugierigkeit und die Erfindung des Ackerbaus. Sie stellt bedeutsame Fragen, so wie „Gott hat euch die-und-die Regeln vorgeschrieben. Im Anbetracht dieser Regeln, sollte nicht das-und-das Ergebnis möglich sein?“ [Fußnote in der Fußnote: Ich verstehe solche Figuren (z.B. die Schlange oder Loki) als die abstrakten Modelle von Teilen unserer eigenen Psyche. Insofern bedeutet dieser Teil der Genesis also wirklich, dass ein menschliches Wesen oder eine Gruppe menschlicher Wesen eine geistige Weiterentwicklung erfahren werden, indem sie Fragen, wie die Schlange sie stellt, beantworten. Andersherum gesehen: Gott möchte, dass wir neugierig, rational sind und…nun, dass wir wissenschaftliche Methoden anwenden.]
Jetzt zum sexuellen Gehalt des Tanzes. Morpheus Rede vor dem Tanz hilft, die Bedeutung des Tanzes zu interpretieren: Wir sind in der wirklichen Welt des Fleisches und des Blutes, des Schmutzes und des animalischen Instinkts. Das hier ist nicht der Himmel, wo göttliche, leidenschaftslose Wesen „tun, was sie tun sollen“ (hierdrin steckt noch eine ganz andere These.) Hier geht es um Leidenschaft und Gefühle. Das erste Gespräch mit dem Merowinger schloss eine „Orgasmus-Sequenz“ ein, die etwas über den freien Willen verdeutlichen sollte. Aber habt ihr gemerkt, wie der Orgasmus ablief? Er war explosiv, aber mechanisch. Kein Vergleich zu der animalischen Begierde der Tanzszene. In Zion sehen wir Menschen, die weder ihre tierische Seite ablehnen, noch dieser Seite vollständig verfallen – hier geht es um menschliches Tun mit Entscheidung, Rhythmus und Zweck, doch trotzdem erfüllt von primitiven Trieben. Mit anderen Worten, sie zeigen ihre Menschlichkeit.
Noch eine Fußnote: Ich tue das nicht gerne, aber ich möchte den Clou nicht weglassen. Mythologien jeder Herkunft lehren uns, dass wir zwischen Welten leben. Das bloße nordische Konzept von „Mittelerde“ bedeutet buchstäblich „in der Mitte zwischen tierischer Welt und göttlicher Welt“. Nicht nur in der nordischen Sage, die Chinesen haben zum Beispiel ihr „Reich der Mitte“. Mensch zu sein heißt, sich mitten zwischen tierischem Instinkt und Göttlichkeit zu befinden. Morpheus spricht in seiner Rede über eine Botschaft „vom roten Kern zum schwarzen Himmel“ – von denen ausgeschickt, die dazwischen leben. Der Gedanke wird einem doch förmlich aufgedrängt.
Die afrikanische Herkunft sagt ebenfalls etwas sehr wichtiges aus. Afrika ist der Geburtsort der Menschheit. Demzufolge weist die afrikanische Herkunft symbolisch gesehen darauf hin, was grundlegend für menschliche Wesen ist. Es kennzeichnet ebenfalls, hier ziemlich offensichtlich, die Geburt; in mehr als nur einem Sinn des Wortes. Wenn Afrika der „Geburtsort“ ist, können wir auch sagen, dass Afrika die Mutter ist. (Genau! Jetzt wird alles verständlich, nicht wahr? Plötzlich wird das Orakel ziemlich interessant) (Genesis ist eine Schöpfungsgeschichte. Ich denke, dass es zugleich eine Auferstehungsgeschichte ist, daher die vielen interessanten Verweise und Parallelen in biblischen Erzählungen und daher die Stimmigkeit des wiederkehrenden Themas der Auferstehung in den Matrix Filmen.)
Zurück zu dem Leitmotiv der Mutter. Wir haben die weitläufigen Aufnahmen aus dem Bauch der Erde mit fließender Lava und Dampf. Das hat zwei Bedeutungen. Erstens die offensichtliche Interpretation (welche auch richtig zu sein scheint). Es soll an die Hölle erinnern. Eine gute Ergänzung zu dem Symbol der Erde aus den Aufnahmen der schlammigen Füße und des afrikanischen Aussehens der Tänzer. Bevor noch jemand meint, ich setze Afrika mit der Hölle gleich, hört mir zu. Der Tanz findet nicht in der Hölle statt, dennoch direkt vor ihren Toren. Hierdurch erscheint Zion als die Antithese der „himmlischen“ Matrix. (Wenn ihr immer noch an der Matrix-in-der-Matrix-Theorie hängt, gebt es jetzt auf. Zion und die Matrix werden ständig als Gegensätze dargestellt. Daher ist, wenn die Matrix eine virtuelle Welt ist, Zion die echte Welt. Echt echt.)
Die andere Bedeutung der Lava ist, dass wir im „Schoß“ der Erde sind. Der tatsächliche Kern, der Mittelpunkt. Die Geburtsallegorie ist unverkennbar. Ich brauche sie wohl nicht weiter auszuführen. Trotzdem sei eins gesagt – Kali ist die Göttin des Todes und der Geburt gemeinsam. Daher diese ganze Lavahöhlensache. Seht euch noch mal „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ an. Der Kern ist tödlich, aber es ist gleichzeitig eine heilige Stätte, in der die Menschheit geboren wird. Es gibt einige Schöpfungsgeschichten der Ureinwohner Amerikas, die damit anfängt, dass die ersten Menschen aus einem Loch in der Erde steigen. Wenn ihr dieses Bild nicht deuten könnt, müsst ihr schon absolut keine Phantasie haben. Okay, eins noch: Es gibt ein gebräuchliches mythologisches Motiv der „Leidenschaft im Bauch / den Lenden“. Denkt darüber nach.
Und schließlich haben wir noch die Sexszene. Man braucht nicht sein Gehirn anzustrengen um festzustellen, dass in der Art, wie der Film die Geschehnisse der Tanzszene und der Sexszene zusammen schneidet, beide dasselbe symbolisieren. Ich kann es nicht noch klarer machen, da hier die Grenzen der Interpretation erreicht sind. Das wichtigste, was hiervon jedoch im Kopf behalten sollte ist:
- Sie sind nackt und haben Sex. Wichtig ist, dass sie sich offensichtlich lieben – vergesst nicht, dass die Maschinen so etwas nicht verstehen. Des weiteren haben sie ziemlich guten Sex, das heißt sie nehmen ihre animalische Seite an – nicht vergessen, wir sind nicht im Himmel, sondern auf der Erde, nahe den Toren der Hölle. Behaltet dieses Konzept im Auge.
- Wir werden mit den aus ihrer Zeit in der Matrix übrig gebliebenen Anschlüsse in ihrem Körper konfrontiert. Die Kamera verharrt ziemlich lange auf diesen Anschlüssen. Sie tragen immer noch die Zeichen des Himmels, aber nun sind sie auf die Erde „gefallen“ (erinnert ihr euch, wie Neo gefallen ist?). Sie haben den Garten Eden abgelehnt, doch dadurch sind sie frei, in die Menschlichkeit des „Reichs der Mitte“ einzutreten.
Das Orakel
Architekt: „Wenn ich der Vater der Matrix bin, ist sie zweifellos die Mutter.
Neo: Das Orakel.
Diese beiden Zeilen fassen einen unglaublichen Teil der Story zusammen. Aber wessen Mutter genau ist das Orakel? Der Architekt konzipierte eine schlussendlich „perfekte“ Matrix in den Versionen 1.0 und 2.0 und beide versagten. Er beschreibt, wie die Antwort von einem intuitiven Programm (nämlich dem Orakel) kam – der Teil den sie im Gegensatz zu ihm beisteuern konnte war der Faktor Neo.
Ich möchte kurz zu der Auffassung Stellung nehmen, dass Orakel sei nicht die Mutter. Diese Auffassung erscheint mir genauso falsch wie die „Matrix-in-der-Matrix“- Theorie. Die meisten Leute glauben hier, dass Persephone die Mutter ist. Es gibt jedoch einige gute Gründe, warum das Orakel die bessere Wahl ist. Wir können mit ihrem Namen anfangen. Die Wachowskis suchen sich die Namen nicht zufällig aus. Sie haben den Namen “Neo” nicht zufällig gewählt und sie haben den Namen “Persephone” bestimmt nicht nur gewählt, weil er niedlich klingt. Persephone ist in der Mythologie keine Mutterfigur. Nicht zufällig ist sie auch in dem Film keinesfalls eine Mutterfigur. Ich sage nicht, dass Persephone ein unbedeutender Charakter ist, aber sie ist definitiv nicht die Mutter. Das Orakel jedoch, sehr gut dargestellt von der jüngst verstorbenen Gloria Foster, ist bis ins kleinste Detail eine Mutterfigur. Als sie Neo das erste Mal trifft gibt sie ihm frisch gebackene Kekse! Offensichtlicher geht es nicht! OK, wieder zurück.
Ich habe bereits Kali kurz erwähnt. Sie ist die Göttin der Geburt und des Todes zugleich – das heißt, sie bringt dem Universum Tod und Wiedergeburt. Dies erklärt den Fehler in den vorigen Matrizen des Architekten, definiert was genau das Orakel ist und eröffnet genau die Grenze der Maschinenintelligenz (und warum der Architekt Neos Verhalten, im Gegensatz zum Orakel, nicht genau vorhersehen kann). Der Kreislauf des Todes und des Lebens ist äquivalent zu WACHSTUM. Wir können das als Axiom auf die bloße physische Existenz – den Tod und Verzehr Anderer um selbst gedeihen zu können – übertragen[5]. Wir können es ebenfalls als eine spirituelle Metapher ansehen. Das heißt, es gibt kein spirituelles Wachstum (nämlich vollkommen menschlich zu werden und das Reich der Mitte zu betreten) ohne Tod und Wiedergeburt.
Der Grund, aus dem die vorhergegangenen Matrizen versagt haben war, dass es für die Menschen keine Möglichkeit gab zu wachsen, ein so fundamentales Bedürfnis, dass keiner diese Welt akzeptierte. Agent Smith sagte im ersten Film die Wahrheit, als er meint „dass die Spezies Mensch ihre Wirklichkeit durch Kummer und Leid definiert“. Vor der Wiedergeburt muss der Tod sein. Wie oft wurde diese Entwicklung schon in Filmen gezeigt? Sie steht im Mittelpunkt der Thematik. Smiths Erkenntnis lässt Unheilvolles ahnen.
Die Tatsache, dass der Architekt zwei ganze Matrizen schuf, ohne Platz für menschliches Wachstum zu lassen, deutet darauf hin, dass die Maschinen kaum Verständnis für Wachstum haben. Tatsächlich können sie sich nicht entwickeln; stattdessen streben sie nach statischer Perfektion. Die einzige Möglichkeit, auf die sie bis jetzt „entwickeln“ konnten, war als Antwort auf menschliche Taten. Das Orakel weiß das, deshalb sagt sie auch „nur zusammen kann es einen Weg nach vorne geben“ [paraphrasiert]. Sie weiß auch, dass die Maschinen ohne Menschen, die sie vorwärts führen, stagnieren werden.
Demzufolge ist das Orakel Kali. Sie bringt der Welt Tod und Verderben, aber auch Erneuerungen. Das Orakel hätte eine Menge Leid verhindern können, indem sie jedem mit mehr Wissen über seine Zukunft ausgestattet hätte. Doch hätte sie das getan, hätte sich keiner der Hauptcharaktere weiterentwickelt – Neo hätte so nicht der Auserwählte werden können. Deshalb sagt sie zu Neo „du musst selbst entscheiden, ob ich für dich oder gegen dich bin“ [wieder paraphrasiert]. Und es ist tatsächlich nicht klar, obwohl es so aussieht als sei sie auf lange Sicht für die Menschen.
Ich sehe es so, dass das Orakel in der Lage ist, Neos Verhalten genau vorherzusagen. Sie gebar den Neo-prozess in die Matrix. Diese ist ihr geistiges Kind (und vielleicht ist, im übertragenen Sinne, Neo tatsächlich ihr Sohn). Der Architekt versteht diesen Prozess nicht (ebenso wenig Neo). Er kennt vielleicht die Parameter oder wie es funktionieren soll. Doch wenn das Orakel die Matrix mit Fortschritt gesegnet hat, muss sie diese verstehen (selbst wenn sie selbst sich nicht entwickeln kann). Das Dumme ist, dass man sich nicht entwickeln und gleichzeitig statisch bleiben kann. Der Architekt denkt, dass der Neo-prozess eine Methode ist, um ein statisches System zu bewahren, doch das kann nicht sein. Jedes Mal wenn der Prozess abläuft, wiederholt sich der Tod-und-Wiedergeburts-Kreis und die gesamte Menschheit entwickelt sich ein wenig weiter, was besonders in Neo zum Ausdruck kommt. Durch ihre bloße Natur, durch ihren Willen zu wachsen, würde die Menschheit auch diese Matrix nicht annehmen.
Ich denke, dass es hierbei noch etwas Besonderes im Bezug auf den Auserwählten gibt. Der Architekt und der Merowinger reden von Vorgängern und vorigen Versionen von „Neo“. Ich nehme an, dass jedes Mal wenn er (oder sie!) wiederkam, er oder sie ein bisschen mächtiger war, auch wenn es ohne Auswirkungen blieb oder von den Maschinen nicht erkannt wurde. Es gibt in diesen Filmen eine Menge Hinweise auf buddhistischen bzw. hinduistischen Reinkarnationsglauben und man kann sagen, dass jede Inkarnation ein und dieselbe Seele war, die der Erleuchtung zustrebte. Im ersten Film sagt das Orakel Neo, dass er noch nicht der Auserwählte ist. „Es sieht so aus als würdest du auf etwas warten […]. Auf dein nächstes Leben vielleicht, wer weiß?“. Sie spricht nicht über seine Erfüllung der Tod-und-Wiedergeburts Prozedur die in die Matrix eingebaut ist. Sie spricht über den fortwährend wiedergeborenen Neo, der sich zu DEM AUSERWÄHLTEN, weiterentwickelt; was, wie sie weiß, früher oder später passieren wird. Tatsächlich werden sechs Wiedergeburten gebraucht um dahin zu kommen.
Und nun kommen wir zur Schlussfolgerung über den Architekten zurück. Das Orakel und der Architekt sagen das zu Neo, das ihn der Erleuchtung näher bringt. Was ich ebenfalls sehr interessant finde ist, dass wir nicht einen einzigen kleinen Beweis dafür finden, dass der Architekt und das Orakel Gegner sind. Die hinduistische Dreieinigkeit beinhaltet Brahma, Vishnu und Shiva. Jeder Gott hat sein Gefolge, welches die Macht dieses Gottes widerspiegelt und lobpreist. Tätigen wir doch mal einen kleinen Austausch und ersetzen Shiva mit ihrem göttlichen Gegenstück, Kali, welches hier das Orakel ist. Wie ich schon gesagt habe, ist der Architekt Brahma. Sie arbeiten zusammen um das erleuchtete menschliche Wesen zu schaffen – Neo – doch vielleicht ebenfalls die erleuchtete Maschine. Und wenn diese Dreieinigkeit hält, werden wir noch Vishnu identifizieren müssen, doch das wird wohl bis Revolutions warten müssen.
Agent Smith
Was sich hinter Agent Smith verbirgt ist einfach zu verstehen, der Weg dorthin ist jedoch etwas kompliziert. Andersherum gesagt gibt es viele Facetten von Smith, die alle wahr sind und die sich doch zu widersprechen scheinen, auch wenn sie alle „Puzzleteile“ eines Gesamtbildes sind. Grundsätzlich kann man sagen, dass Smith die Bedeutung für die Maschinen hat, die Neo für die Menschheit hat.
Facette #1: Die Gedanken beruhigen. Ich fange mit der alten Gebirgs-Analogie an. Ein erfahrener Bergsteiger wird dir erzählen, dass jeder Berg verschiedenste Aufstiegsmöglichkeiten hat. Die einen Kletterer finden den einen Aufstieg leichter, andere kommen besser mit einem anderen zurecht. Es ist unmöglich, logisch zwischen diesen Aufstiegen zu unterscheiden. Man könnte Fakten finden wie “Die meisten Leute bevorzugen diesen Aufstieg.” Doch das macht ihn nicht “besser.” Dasselbe trifft auf die Erleuchtung zu. Es ist sehr schwierig z.B. im Konfuzianismus zu sagen ein Pfad sei schlecht, solange er einen höher auf den Berg hinaufführt. Diese Lektion muss auf Smith übertragen werden um ihn richtig betrachten zu können. Er ist Neos Nemesis, sein Erzfeind und mit unseren traditionellen Denkstrukturen etikettieren wir Neo als den “Guten” und Smith als den “Bösen”.
Dieses Gefühl hatte ich ebenfalls bei Darth Maul. Oberflächlich betrachtet schien er durch und durch böse zu sein. Doch man kann nicht leugnen, dass er mächtig war und ich habe immer geglaubt, die Macht sei ähnlich wie die Erleuchtung beim Kung-Fu – Jedi und Sith haben überwältigende Kräfte, weil sie ihre Gedanken beruhigt haben und kontrollieren und mit der Welt um sich im Einklang sind; ein sehr erleuchteter Zustand. (Im Nachhinein müssten wir diese Idee ein wenig umschreiben, da Lucas unsere Vorstellung von der Macht dadurch ruiniert hat, dass er sie als Blutzustand erklärt hat). Nur weil Darth Maul den Berg auf dem Weg des Hasses und Zorns erklommen hat; nun, ist er trotzdem auf dem Gipfel angekommen. Smith ist auch so ein Fall. Er hasst die Menschen wirklich und vor allem hasst er Neo. Was ihm dies bringt, ist Klarheit. Frieden, um genau zu sein. Smith sagt, dass er dank Neo eine Bestimmung gefunden hat, was ein Zeichen dafür ist, dass er einen gewissen Level an innerer Ruhe erreicht hat. Wenn wir auf der Suche nach einer Bestimmung sind, sind wir ziemlich ineffektiv; doch wenn wir uns einem höheren Zweck widmen, reagieren wir mit erhöhter Energie.
Facette #2: Die Reise des Helden. Hier folgen einige zusätzliche Beweise dafür dass das, was Smith durchgemacht hat, äquivalent zu Neos Reise ist. Es wird nicht im Film gezeigt, aber Smiths lange Ansprache an Neo vor der Kampfszene liefert genug Hinweise. Die Reihenfolge der Ereignisse:
- Neo lässt Smith auseinander fliegen, was offensichtlich Smiths Tod bedeutet.
- Irgendwie ersteht Smith vom Tode wieder auf.
- Smith ist für längere Zeit orientierungslos und verwirrt.
- Smith findet eine Bestimmung (nämlich Neo zu zerstören).
Punkt 2 ist schon für sich alleine faszinierend. Immerhin ist die Wiedergeburt eine Eigenschaft der Menschen. Die Maschinen haben diese Eigenschaft nicht. Genauer betrachtet ist sie ein Todes-und-Wiedergeburts-Kreis — die fundamentale Charakteristik des biologischen Lebens. Ich glaube der beste Ausdruck ist, dass Smith in die spirituelle Welt erwacht ist. Er ist nun fähig, sich zu ENTWICKELN, seinen Weg den Berg hinauf zu beginnen.
Es gibt jedoch noch eine weitere Bedeutung der Schritte 2 bis 4. Dies ist eine Heldenreise im einfachsten Sinne (wie auch im Märchen vom „Eisenhans“ o.ä.). Smith wird also nicht nur zur Wiedergeburt erweckt, er startet sofort in den Kreislauf des spirituellen Wachstums. Das ist besonders interessant, da er vor unseren Augen die Reise eines weiteren Charakters vor unseren Augen beginnen lässt. Smith übernimmt die Kontrolle über Banes Gedanken und downloaded sich dann in den Kopf dieses Typen. Wenn das nicht die Überschreitung der Schwelle zum Abenteuer bedeutet, was dann? (Zu anderen Charakteren: Luke Skywalker überschreitet diese Schwelle als er zustimmt, Ben Kenobi nach Alderaan zu begleiten. Neo überschreitet sie, als er dem weißen Kaninchen in den Club folgt.) Eine Zeitlang ist der Smith-in-der-echten-Welt desorientiert und unkoordiniert. Doch bald hat er sich gesammelt und zieht los, seine “Bestimmung” zu erfüllen – die darin besteht, Neo zu erdolchen.
Zeit für eine Randbemerkung: Ich habe mich via E-Mail ein wenig mit senteniment@NOhotmail.SPAMcom ausgetauscht (der mir wirklich einiges über Animatrix beigebracht hat); hierbei fing ich an, mich in die Psyche Smiths hineinzuversetzen, der Neo töten will. Das sind ein wenig finstere Gedanken, also überspringt diesen Absatz, wenn ihr zartbesaitet seid. Mörder führen im Allgemeinen einen Akt des Besitzergreifens aus. Sie töten, was sie werden wollen. Der mythologische Ursprung hierfür entspringt aus den Ritualen des Jagens, Tötens und Verzehrens. Die Sioux und auch andere Stämme aßen für gewöhnlich Teile ihrer Beute direkt nachdem sie erlegt worden war um ihre Macht aufzunehmen, z.B. verzehrten sie das noch schlagende Herz eines frisch erlegten Büffels. Kannibalismus ist eine andere Ausdrucksform für dasselbe Verlangen – Kannibalen essen andere menschliche Lebewesen um ihre Kraft aufzunehmen (Seht euch Ravenous – Friß oder stirb an um unangenehme aber lehrreiche Erfahrungen diesbezüglich zu sammeln). Es gibt eine Menge Rituale der Jäger und Sammler, die dieses Ziel verfolgen und obwohl sie für unsere westlichen, zivilisierten Gaumen ekelhaft erscheinen mögen, sind sie die Quintessenz dessen, was es heißt zu leben. Es ist Oroboros, die Weltenverschlingende Schlange, die sich selber in den Schwanz beißt.
Facette #3: Programmatisches Wachstum. Nun kommen wir zu der vielleicht wichtigsten Facette von Smiths Charakter. Die Fähigkeit zu wachsen, die Neo auf Smith übertragen hat — oder halt, Das ist seltsam, offensichtlich hat nicht Neo Smith wiedererweckt, doch wer war es dann? Es ist im positiven Sinne höchst religiös dies in Betracht zu ziehen — diese Fähigkeit ist vielleicht der Faktor, der Smith im höchsten Maße irritiert. Wie entwickelt man sich? Maschinen wissen das nicht. Schließlich kam Smith zu dem Schluss dass Vermehrung der Schlüssel zur Entwicklung ist. Und wir wissen, wenn einer auf diesen Schluss kommen kann, dann ist es Smith. Er hat vielleicht hunderte Jahre damit verbracht, menschliche Wesen und ihr virenhaftes Wesen zu studieren. Man kann Entwicklung nicht logisch definieren, wenn man die Vermehrung außer Acht lässt, nicht einmal auf zellulärer Ebene. Das ist interessant, denn es bedeutet, dass Smiths Verhalten derer elementarer Lebensformen entspricht. Er lernt, wie man ein sich entwickelndes Wesen wird. Er wird sehr schnell lernen (Ihr werdet es sehen).
Wieder zurück zu meinen Gesprächen mit senteniment. Zu der Zeit, als diese Diskussion stattfand, hatte ich bereits diesen Absatz geschrieben, doch ich sage es zum ersten Mal öffentlich: Erinnert euch daran, was Smith im ersten Film zu Morpheus sagte und ihr werdet verstehen, was so besonders an Smiths virenhafter Vervielfältigung ist. Als er Morpheus folterte um die Codes für Zion zu bekommen[6], sprach Smith über die Menschen als ein Virus. Sein Tonfall deutete jedoch eher auf Ekel und Abscheu hin…man bekam den Eindruck, dass die Menschen wegen dieser Eigenschaft ausgelöscht werden sollte. Smith ist also bis zum Erbrechen angeekelt von menschlichen Wesen und ihrer — genau — wuchernden Vervielfältigung!
Smith ist geworden, was er am meisten hasst, nämlich zu sein wie ein Mensch. Und er beschuldigt Neo dafür verantwortlich zu sein; während er gleichzeitig diese Fähigkeit immer wieder gebraucht (wie könnte er anders?).
Facette #4: Smith, der Hacker. Wie kommt’s, das bis jetzt niemand gemerkt hat, wie sehr Smith zum Hacker geworden ist? Das Programm zur Viren-Infektion ist ein Meisterstück. (Diesmal geht es allerdings nicht um „Cracker“). Ein Zuschauerraum voller Computerfreaks würde Smith höchstwahrscheinlich als eine fantastischen gibsonschen Helden der Wirklichkeitsbejahung und –verbreitung sehen, genau wie…hm….Neo! Ich verstehe nicht, wieso dies nicht von mehr Leuten erkannt wurde. Smith hackt wie verrückt, was ihn zu einem Loki macht wie es Neo ist. Smith hackt nicht nur die Matrix, er hackt die Wirklichkeit, indem er Kopien seiner selbst in echte menschliche Wesen downloaded und offensichtlich ihr Gehirn hackt. Die Anspielung auf Snow Crash ist unübersehbar, was das Hackerkonzept noch unterstützt.
HEILIGE…eine Sekunde. Ihre Gehirne hacken?! Das ist die Stelle an der Leute wirklich vom Sessel kippen, doch ich denke es wird erst recht interessant. Es gab einen Beitrag auf Slashdot darüber, wie “unwahrscheinlich” es wäre, dass Smith das Gehirn von irgendjemanden hacken und eine Kopie von sich downloaden könnte, da die Formatierungen nicht kompatibel seien (oder so ähnlich). Nun, gesetzt dem Fall es wäre möglich: Warum haben die anderen Agenten das noch nicht getan? Weil sie unkompatibel sind. Smith hingegen ist kompatibel geworden. Man könnte ein ganzes Buch über diesen Satz anfangen. Doch fassen wir es stattdessen zu zwei Punkten zusammen:
- Die Maschinen und die Menschen haben eine MENGE mehr gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheint.
- Smith betont die Notwendigkeit eines Programmtyps/Maschinentyps, der nach denselben Regeln lebt wie die Menschen, was bedeutet, dass es eine gemeinsame Kommunikationsgrundlage geben muss. Anders gesagt, sie können zusammen leben[7].
Hier haben wir einen wichtigen Hinweis darauf, wohin diese ganze Geschichte uns führen wird und es passt sehr gut damit zusammen, was das Orakel über einen gemeinsamen Weg in die Zukunft gesagt hat. Das bringt mich zu der Frage, ob das Orakel Smith und sein Verhalten vorhersagen kann. Ich bin wirklich unschlüssig, aber ich neige zu einem “Ja.” Der einzige Grund dafür ist, dass es der Story eine wirklich metaphysische Wendung geben würde; und man müsste sich zurücklehnen und fragen “Wie konnte sie denn daswissen” und würde dieses alte ehrfürchtige Gefühl bekommen, dass eine unsichtbare Hand die ganze Zeit alles geleitet hat. Es verleiht der Trilogie eine wirklich epische Ebene.
Facette #5: Neos Spiegel. All die bisher genannten Facetten führen zu dem grundsätzlichen Thema von Smith als ein Spiegelbild Neos. Ganz einfach ausgedrückt bedeutet das für die Story, dass Smiths „negatives Spiegelbild“ von Neo hauptsächlich dazu dient, Neos Charakter auf verschiedenste Arten hervorzuheben. Das stimmt, ist aber nicht die ganze Wahrheit (Es ist ein Zeichen guter Erzählkunst, dass es immer mehrere Ebenen der Funktionalität gibt). Stellen wir einige ihrer Eigenschaften gegenüber.
Neo
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Smith
|
Ich könnte noch ein bisschen mit dieser Dualität fortfahren. Es fängt schon weit am Anfang des ersten Films an (wenn auch mit anderer Symbolik) und ich schätze, dass es in Revolutions noch deutlicher wird. Ich denke ein Großteil dieser Spiegelbild-Eigenschaften deutet direkt auf den Erzählbogen hin. Ich werde mich in diesem Teil damit befassen.
Es gibt eine sehr “leichte” Möglichkeit, den Neo-Smith Spiegel kritisch zu betrachten und das wäre, sie als ein und denselben Charakter zu bezeichnen. Die Tatsache dass sie Erzfeinde sind bedeutet dann, dass Neo (da er der Protagonist ist) wortwörtlich mit sich selber kämpft. Ein guter Ansatz. Erinnern wir uns an Seraph, der mit Neo kämpfte — offensichtlich endete es in einem Unentschieden — und dann sagte “Erst wenn du mit jemandem gekämpft hast, kennst du ihn richtig”. Äh, was haben Neo und Smith bei ihrem ersten Treffen getan? Yup. Fügen wir das zu Smiths mörderischen Absichten Neo gegenüber hinzu (was Besitzergreifen bedeutet, was für Wissen steht). Wenn Smith als Splitter von Neos Bewusstsein gesehen werden kann; dem Teil Neos der versucht, sich selbst zu kennen, dann beschleunigt das die Thematik von Neos Reise zur Erleuchtung – und zwar gewaltig.
Lasst euch von diesem letzten Teil aber nicht allzu sehr ablenken. Es ist von einer symbolischen Sichtweise aus richtig, doch um die Auswirkungen auf die Handlung vollständig zu sehen, müsst ihr folgendes Gedankenexperiment machen: Ich sagte, dass wir Smith als einen Indikator für Neos Charakter sehen sollen, da Neo der Protagonist ist. Aber warum ist er der Protagonist? Wir kennen noch nicht die ganze Geschichte. Also nehmen wir mal an, dass Smith der Protagonist ist, oder dass vielleicht Neo und Smith beide Protagonisten sind gegenüber… dem Architekten? Es könnte sein. Achtet darauf, wie Neo Smiths Charakter beleuchtet. Smith gibt es, von einem gewissen Standpunkt gesehen, wirklich “da draußen”. Er ist gezwungen, dem System der Matrix nicht zu gehorchen, genauso wie Neo dieses System missachtet. Die Einwohner Zions verehren Neo, doch wer in den Reihen der Maschinen hält zu Smith? Wenn Smith der Heiland der Maschinen ist, so wie Neo der Heiland der Menschen ist, dann werden die Maschinen sehr bald sehr kräftig aufgemischt werden.
Der Erzählbogen der Geschichte
Hier eine grobe Zusammenfassung der Chronologie:
- 01 entsteht.
- 01 möchte eine Koexistenz mit den Menschen und bietet diese an. Das passt perfekt zur Genesis. Denkt daran, 01 ist Gott (Ich finde das ist tiefgreifend und sogar bewegend.) Hier der Grund dafür, dass Genesis passt, in einer klassischen Interpretation: Es gibt ein “einfaches Gut” und ein “komplexes Gut” so wie es C.S. Lewis beschreibt. Das einfache Gut würde das für Menschen sein, die akzeptieren, was Gott ihnen sagt und entsprechend leben. Das komplexe Gut ist dass Menschen sich von Gott abwenden, herausfinden warum sie schlecht waren und am Ende zu Gott zurückfinden. Der Höhepunkt ist, dass das komplexe Gut mehr gut ist als das einfache Gut. Wenn ihr mich fragt, gibt es nichts Menschlicheres als das.
- Die Menschheit lehnt das Angebot von 01 zur Koexistenz ab. — das heißt, der komplexe Kreislauf beginnt.
- Die Menschheit in ihrer Hybris denkt, sie könne Gott auslöschen, indem sie den Himmel verdunkelt. Von allen Metaphern der gegenwärtigen Literatur und Filmkunst gibt es nur wenige, die an Eleganz und Bedeutungsschwere an diese heranreichen. Der Himmel ist das Paradies und demzufolge ist dies ein Angriff auf das Paradies. Wow.
- Der Angriff auf das Himmelsreich schlägt fehl und die Menschheit wird in den Höllenpfuhl verstoßen. Okay, von den Metaphern abgesehen, verlieren die Menschen einen Krieg gegen die Maschinen und werden unterjocht.
- Einige Versionen der Matrix werden ausgetestet und schließlich ist die einzig funktionierende eine, die den Menschen erlaubt sich zu entwickeln (so dass sie diese Welt akzeptieren). Auf lange Sicht verstehen die Maschinen den Aspekt des Wachstums nicht und bekämpfen ihn.
- Das Orakel, das geholfen hat Matrix 3.0 zu kreieren, sinnt ein wenig über ihre Kreation nach und stellt fest, dass diese irgendwann zu Menschen führen wird, die die Matrix verlassen können. (In heldenhafter Art und Weise kann jeder, der die Matrix verlässt, diese Fähigkeit zurück zu den anderen bringen und jeder hat etwas davon.) Sie sieht ebenfalls, dass diese Transzendenz notwendig ist, damit sich Maschinen überhaupt weiterentwickeln können. In dem komplizierten Verhältnis zwischen Mensch und Maschine sieht sie, dass die menschliche Evolution beide Seiten begünstigt und dass man sie für eine Evolution der Maschinen nutzen kann.
- Auftritt Neo 1.0, der am Ende die Wiedergeburt Zions wählt und der Kreislauf beginnt von vorne.
- Auftritt Neo 6.0, der Trinity wählt und die Revolution beginnt (das heißt den Übergang zu einer neuen Ordnung der Welt). Die Wahl ist bedeutsam, da Trinity [engl.: Dreieinigkeit, A.d.Ü.] für Gottheit steht. Das stellt eine der komplexesten, bedeutungsvollsten Thematiken dar, der ich jemals in einem fiktionalen Werk begegnet bin. Die Menschheit erreichte eine “einfache” Göttlichkeit indem sie Geschöpfe nach ihrem Bild schuf. Sie wird eine “komplexe” Göttlichkeit erlangen, indem sie wieder mit ihren entfremdeten Kindern zusammenkommt. Gleichzeitig wird dasselbe mit den Maschinen geschehen.
Nun bewegen wir uns in unbekannten Gewässern. Das folgende ist rein hypothetisch, aber ich glaube dass es logisch aus meiner Analyse gefolgert werden kann:
- Neo und Smith sind zwei Überwesen zweier „feindlicher“ Seiten, die auf dasselbe Ziel zulaufen. Beide werden irgendeine Art der Erleuchtung zusammen erfahren (das könnte “zusammen” im Sinne von “offenbart, während sie miteinander kämpfen”)sein.
- Ich sage “feindlicher” Seiten, da es am ENDE der Trilogie eine NEUE WELT geben wird, in der Menschen und Maschinen zusammen in die Zukunft gehen. Himmel und Erde werden sich vereinen.
- Die alten Systeme werden abgeschafft werden. Es geht nicht anders. Die Menschheit wird zur Erdoberfläche zurückkehren. Matrix 3.0 wird gelöscht werden und höchstwahrscheinlich wird Matrix 4.0 in Arbeit sein, doch diesmal wird sie nicht versklaven, sondern befreien.
- Wette Zehn zu Eins, dass die Sonne die Wolken durchbrechen wird. Das wäre eine 10 auf einer Skala von 1 bis 10.
- Alle Parteien, die etwas durch das Auflösen des Systems zu verlieren hätten, werden in Revolutions zu den Waffen greifen. Der Merowinger und seine Gefolgsleute werden wieder dabei sein. Die Agenten ebenfalls.
- Erwartet einige unerwartete Allianzen zwischen Menschen und Maschinen, besonders gegen Ende des Films.
- Das Orakel wird nicht vollständig erläutert oder definiert werden. Wahrscheinlich der Architekt ebenfalls nicht. Sie sind immerhin Götter.
- Die begrifflichen Schranken zwischen der echten Welt und der Matrix werden aufgelöst werden — wenn das nicht schon längst geschehen ist. Doch auch die starken Interaktionen zwischen Menschen und Maschinen in der Matrix werden in der echten Welt mehr hervorgehoben werden (á la Neos Kontrolle über die Squiddies).
- Mehr bullet-time.
- [1]Diese Idee stammt nicht von mir. Ich habe sie aus Neal Stephensons Cryptonomicon. Als ich diesen Essay das erste Mal schrieb, nahm ich an, dass alle meine Leser (Ich schätzte, dass etwa 25 bis 30 Personen diesen Essay lesen würden; etwas naiv von mir) dieses Buch kennen würden.↩
- [2]Diese Behauptung irritiert eine Menge Leute. Nur um noch etwas Öl aufs Feuer zu gießen, wie wäre es damit: Der Teufel und Christus sind Brüder. Sie sind ein Yin-Yang Pärchen. Der Teufel in dir stört sich an Perfektion und sehnt sich, das Paradies zu verlassen und sich zu entwickeln. Er ist der Splitter in deinem Kopf. Christus ist das in dir, dass zu der Perfektion des Gartens Eden zurückkehren, den Drachen töten und sich mit der Prinzessin vereinen möchte (Ganzheit).↩
- [3]Jesus sitzt zur rechten Gottes. Daher fragt der Architekt, indem er Neo die rechte Tür anbietet, ob er zu seiner Rechten sitzen möchte. Neo würde der Christus der Matrix werden, indem er sich selbst für das Wohl der Welt opfert. So hat es bis dahin jede einzelne Inkarnation getan. Die Tatsache, dass er es diesmal nicht tut deutet darauf hin, dass er (und demzufolge auch die Matrix und die Menschheit) hiervon losgekommen ist und etwas neues wagt.↩
- [4]Ebert meinte, dass die Vorstellung afrikanischer Kultur in Zion verglichen mit dem extremen Weiß des Architekten rassistische Themen übermitteln. Ich glaube hier wird von uns eine feministische Sichtweise erwartet und finde einige Bilder, die das alles eher ausschließen. Nun, trotzdem ist die Theorie so gut wie jede andere. Ich könnte wahrscheinlich eine komplette Beurteilung nur darüber schreiben, abgesehen davon glaube ich aber kein bisschen daran. Und ich finde sie deprimierend und ablehnenswert.↩
- [5]Auch Vegetarier und Veganer können nicht entkommen. Was immer man isst, war einst lebendig. Selbst wenn du von dem Wasser lebst, was von einem Baum tropft, dann störst du den Lebenskreislauf, was schlussendlich dasselbe ist wie der Tod. Es gibt kein Leben, es sei denn durch den Tod. Es ist abstoßend und zur gleichen Zeit der Grund dafür, dass wir eine Religion haben.↩
- [6]Was für ein faszinierender Beweis dafür, dass nicht alle Maschinen harmonisch zusammenarbeiten. Die Agenten sind dafür da, das statische Andauern der Matrix zu beschützen. Sie unterstehen nicht direkt dem Architekten. Tatsächlich ist der Architekt in seiner Nicht-Einmischung der typische Deist. Er hat diese Welt erschaffen, aber hat nicht viel damit zu tun, sie Tag für Tag am Laufen zu halten. Das führt zu der sehr interessanten Tatsache, dass die Untergebenen des Merowingers (genauer: die “die Zwillinge”) Agenten angriffen als diese auftauchten, demzufolge hat der Merowinger überhaupt nichts mit der Wartung der Matrix zu tun.↩
- [7]Neo überschreitet diese Grenze ebenfalls. Seine Bemerkung, dass er die sich nähernden Squiddies „fühlen“ könne, heißt höchstwahrscheinlich, dass er die Kluft zu den Maschinen genauso überwindet wie Smith die Kluft zu den Menschen.↩